16. September 2019
Heute war bereits das vierte Treffen mit Martin. Er ist seit gut 10 Jahren wohnungslos in Frankfurt und hat sich bereit erklärt, mir seine Geschichte für meine Diplomarbeit „True Faces Frankfurt“ zu erzählen.
Und schon beim ersten Treffen merke ich, die ist ganz anders als ich sie mir vorgestellt habe. Im Grunde ist es die Geschichte eines ganz normalen Jungen, der seine Träume hat, der seine Lektionen lernt und der seinen Weg geht.

Die Kindheit und Jugend unterscheiden sich kaum von meinem Leben: Kindergarten, Schule und die ganz großen Fragen, die auf den Schulabschluss folgen:
Wo will ich hin? Was will ich werden? Wer möchte ich sein?
Bei mir wie auch bei Martin war der Wunsch zunächst: Schauspieler werden.
Das widerspricht jedoch in Martins Fall den Vorstellungen seiner Eltern. Etwas Ordentliches soll er machen. Das hab ich selbst ja auch schon gehört. Genau das macht er dann auch, eine Ausbildung verspricht einen guten Start ins Berufsleben; der bleibt ihm jedoch anfangs verwehrt. Über Umwege gelangt er zuletzt nach Frankfurt, genauer in die Nähe der Alten Oper, wo er als Broker in einem internationalen Unternehmen arbeitet.
Und dann?
Wie es weiter geht erfahre ich bei unserem nächsten Treffen. Dann geht es um das Leben als Broker, um das Geschäft mit Wertpapieren und um den stressigen Büroalltag.
Es hat mich sehr überrascht, wie voreingenommen ich mir Martins Leben vorgestellt habe.
Ich habe ein großes Scheitern, einen Schicksalsschlag oder Ähnliches erwartet. Es ist schwer sich von Konventionen und vorgefertigten Meinungen zu lösen und eigene Erfahrungen zu sammeln. Aber es lohnt sich, auf Menschen zuzugehen, um die man aus Gewohnheit einen Bogen gemacht hat, um der Wahrheit ein wenig näher zu kommen..