Meine Freiheit, deine Freiheit

09. März 2020

In der zweiten Hälfte des Jahres 2019 habe ich mich immer wieder mit Martin getroffen und wir haben seine Vergangenheit aufgearbeitet.

Ab November begann dann eine lange Winterpause und wir haben unsere Treffen erst im Februar wieder aufgenommen. Entweder war ich durch mein Studium eng eingebunden oder manche unserer Treffen kamen nicht zustande weil Martin durch die schlechte Wetterlage zu erschöpft war.

Bockenheimer Campus der Goethe Universität Frankfurt

Martin hat mir alles erzählt, von Anfang bis Ende.

Und immer wieder gab es dabei Momente, in denen es so aussah, als seien unsere unterschiedlichen Sichten auf seine Situation nicht in Einklang zu bringen. Ich bin aufgewachsen in einem System, in dem ich mich sehr wohl gefühlt habe, da mir persönlich auch wenig Grund dazu gegeben wurde, unzufrieden zu sein.

Ich bin groß geworden mit dem Gedanken, dass jeder Mensch, welcher Teil einer Gesellschaft ist, auch eine Verantwortung und Verpflichtung dieser Gesellschaft gegenüber hat.

Zu sagen: Obdachlose, Arbeitslose Menschen entziehen sich einer gesellschaftlichen Verantwortung liegt da erst einmal nahe, dieser Gedanke geht jedoch davon aus, das mein Gegenüber die gleiche Vorstellung einer Gesellschaft hat wie ich. Wichtig ist zu verstehen, dass wir unterschiedliche Anforderungen an einen Staat stellen können, um ihn so zu verändern.

Wir sind nicht gezwungen, eine Gegebenheit einfach so hinzunehmen. Das gilt auch für gesellschaftliche Verpflichtungen.

Wir können protestieren, demonstrieren und streiken. Auf diesem Prinzip baut eine Demokratie auf und lässt (im besten Fall) Veränderungen und Fortschritt zu.

In Martins Fall heißt das:

Martin steht mit seiner Vorstellung einer gerechten und freien Gesellschaft in vielen Punkten in Widerspruch mit den bestehenden kapitalistischen Ideen unserer Gesellschaft. Martin ist ein sehr ideologischer Mensch, mit einem starken Freiheitsanspruch.

Wer obdachlos ist und den Weg zurück in die Arbeitswelt sucht, der muss zunächst einen sehr diktierten Weg beschreiten um wieder zu einer Art „Unabhängigkeit“ zu gelangen.

Dieser diktierte Weg steht jedoch mit allem in Widerspruch, was Martin ausmacht. Es geht ihm nicht darum, sein Geld zu verdienen um seine Miete zu bezahlen und „frei“ über ein Einkommen verfügen zu können. Ich bin der Meinung, man kann ihm nicht vorwerfen sich aktiv einer gesellschaftlichen Verantwortung zu entziehen. Wozu sollte man einen Weg einschlagen der ohnehin nicht zu dem gewünschten Ziel führen wird? Ein Weg der nur in einem Bild von Gesellschaft funktioniert, das man ablehnt?

Es geht Martin vielmehr um seine ganz individuellen und persönlichen Ziele, als um das Erreichen der vom Staat gesteckten Ziele.

Martin reduziert sich nicht nur auf seine Arbeitskraft (anders als der Staat). Es geht ihm um echte Unabhängigkeit. Das Leben das er täglich führt ist auch Ausdruck seiner Freiheit.

Jeder muss für sich entscheiden, was ihm das wert ist.

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